16 Orte in 5 Bundesländern und über 4000 km – das war meine Wahlkampftour für die Internationalistische Liste im Corona-Jahr 2021.
Die 1. Tour ging nach Thüringen und Göttingen. Hier entstand: „Seehofers Nächte sind lang!“ anlässlich des Prozesses von Stefan Engel gegen Seehofer in Meiningen. Ein wichtiger Sieg im Kampf um demokratische Rechte gegen seine Drangsalierung als „terroristischer Gefährder“. Nach dem Prozess kam die letzte Strophe nach der Idee von Stefan dazu: „So sehen Sieger aus!“
Vom Truckenthaler Waldfest aus machten wir einen Abstecher mit Stefan Engel nach Coburg, wo er aufgewachsen ist und jetzt als Direktkandidat aufgestellt war. „Wir machen das so,“ sagte Stefan am Rande des belebten Marktplatzes „Erst ein Redebeitrag, dann ein Lied. Und du sagst immer was zu deinem Lied.“
Dann ging´s eine Woche nach Göttingen, wo ich mit Rebellen einen Workshop gemeinsam durchführte, die ein Lied komponierten und texteten gegen „Die Mauer des Antikommunismus“. Wir lernten gemeinsam, die dialektische Methode bewusst beim Liedermachen anzuwenden.
Die 2. Tour ging über Deutschlands größte Konzentration von Industriearbeitern – Hannover/Wolfsburg– nach Gelsenkirchen zum Rebellischen Musikfestival. VW-Hannover: Polizei und Gericht verbieten die Kundgebung auf dem öffentlich zugänglichen Parkplatz vor der Gießerei, die dicht gemacht werden soll. Musik und Kurzreden sind nur möglich auf einem kleinen Streifen Bürgersteig im Verkehrslärm.
Das Gegenteil am Tor 17- VW-Wolfsburg, mitten auf dem VW-Parkplatz: Während kurz vor Schichtwechsel in aller Ruhe eine Bisamratte die Straße überquert standen wir plötzlich in einem anschwellenden Strom von Tausenden Automobilarbeitern. Gabi Fechter war in ihrem Element. Fast 20 Kollegen trugen sich ein und wollten unsere Bewegung unterstützen.
Mein Beitrag am offenen Mikrofon: „Ich komme aus Berlin wo schlaue Professoren predigen, es gäbe keine Arbeiterklasse mehr. Denen empfehle ich, sich hier mal vor´s Tor zu stellen.“
Flankierend zu der zentralen Auftakt-Kundgebung in Hannover war uns nur ein paar Meter zu weit um die Ecke ein Platz zugewiesen worden, sodass wir nicht im Strom der Passanten am Kröpke standen, sondern in der „Windstille“ ohne viel Publikum. Die Göttinger Rebellen erprobten hier ihr neues Lied auf Straßentauglichkeit. Hier blieben Kinder stehen, warfen 50 Cent in den Gitarrenkasten und veranlassten die Eltern, mit zu singen: „Seehofers Nächte sind lang!“.
Bei einem Abstecher zurück nach Berlin nahmen wir teil an einer weltweiten Kundgebung gegen den faschistischen Präsidenten Duterte auf den Philippinen, der Kommunisten zum Abschuss frei gegeben hat. Das „Turbankinder-Lied“ half hier, den Kampf dort gegen den Goldtagebau großer Konzerne zu schildern.
Dann ging es weiter zum Rebellischen Muikfestival in Gelsenkirchen. Es wurde wieder einmal versucht, es durch fadenscheinige Begründungen zu vereiteln. Wir zogen das durch trotz strömenden Regens und einem im Matsch festsitzenden VW-Bulli. Den 1. Preis beim Sing-Contest bekam verdientermaßen „Los Pueblos“. Am Samstag machte eine Delegation einen Abstecher zur Demo in Düsseldorf gegen die geplanten Polizeigesetze – mit musikalischer Untermalung von Nümmes.
Die 3. Tour begann mit einer Hürde. Eigentlich in Gera als Startpunkt vereinbart, konnte ich die geplante Zugfahrt nicht antreten, weil die Lokführer-Gewerkschaft die Loks nicht losfahren ließ. Also schnell sonntags ein Lied gebastelt: „Die Lok, die fährt heut nich los!“ und auf der Webseite und im Newsletter gepostet.
Was nun? Wie sollte ich den nächsten Tag nach Eisenach kommen?
Ich konnte verspätet losfahren, weil Frederik aus der NümmesBand sein Auto gegen eine Spende für Solidarität International zur Verfügung stellte. Danke dafür! Google Maps sagte mir, dass Magdeburg fast auf der Strecke nach Eisenach liegt. Also meldete ich mich bei der GdL an, die dort eien Streik-Kundgebung geplant hatten.
200 Streikende der GdL in Magdeburg sangen das einen Tag vorher entstandene Lied aus voller Kehle mit. Auch der Gewerkschaftsvor-sitzende der Region. Freunde der Inter-Liste hatten den Text von der Nümmes-Webseite kopiert und verteilt.
In Eisenach spielte ich u.a. für Opel-Kollegen, die jetzt prompt nach der Wahl ihre Arbeitsplätze verlieren sollen. Ein kämpferischer Opelaner führte vor, wie eine Kurzrede konkret, verständlich mit einem Schwerpunkt Aufmerksamkeit bei Passanten wecken und … durch ein Lied weitergeführt werden kann: „Reih dich ein in die Arbeitereinheits-front, weil du auch ein Arbeiter bist!“ In Erfurt war der „Höhepunkt“, dass Siemens seine Angst vor den angeblich so unbedeutenden Kommunisten durch 2 Mannschaftswagen Polizei offenbarte. Wieder die alte Leier: Lieder singen und Blätter verteilen vor dem Werkstor auf dem heiligen Eigentum eines Monopols sei verboten. Alle 3 mussten wir die Personalien abliefern. Brecht würde singen: „Haben sie denn so mächtige Feinde?“
Nach einer Pause zur Besänftigung der Bandscheiben ging´s wieder nach NRW. 1. Station: Duisburg mit Gabi Fechter, die wacker in strömendem Regen die bürgerlichen Parteien aufs Korn nahm.
Als ein Moderator Nümmes als „Einheizer“ ankündigte, ergänzte ich, dass einige meiner Lieder auch zum Nachdenken anregen möchten. Wie meistens hörte der Regen auf sobald einige Töne erklangen. Und so sang eine Gruppe Jugendlicher auch in Duisburg das Lok-Lied, wobei es durch Spontan-Kommentare begleitet wurde.
In Datteln wurde bei einer Kundgebung gegen das Kohlekraftwerk mitten in der belebten Fußgängerzone neben Grünen, SPD und CDU deutlich, wie kulturvoll unser gesamtes Auftreten war. Während dort billige Wahlgeschenke bezahlt aus Steuergeldern verteilt wurden, nahmen bei uns Arbeiter, Umweltkämpfer, kämpferische Frauen und eine Rebellin in beeindruckenden Kurzreden Stellung, frei von der Leber weg und authentisch. Hier wurden nicht Kugelschreiber verteilt, die sowieso nach der Wahl ihren Geist aufgeben, sondern ein Buch angeboten gegen den Antikommunismus.
Sabine Leopold schilderte z.B. ihre Auseinandersetzung mit einem Kollegen, der eine diffuse Angst vor Kommunisten hat und machte Mut, weiter zu denken als der Kapitalismus erlaubt. Ich fragte die Genossin, woher die beeindruckende Qualität überzeugender Reden von so vielen kommt. „Wir haben uns bewusst überlegt, wie man mit einem Schwerpunkt in die Tiefe gelangt und eine wissenschaftliche Polemik entwickelt.“ So ähnlich war die Antwort.
Proletarische Kultur ist vielfältig und reduziert sich nicht auf einen musikalischen „Kulturbeitrag“. Das würde ja auch heißen, dass die Reden vorher nicht kulturvoll durchdacht sind. Die ganze Art und Weise, auf die Menschen zuzugehen und mit ihnen gemeinsam voran zu kommen im Leben, in der Liebe und im Kampf, Klarheit und Einheit zu entwickeln. Immer wieder werteten Genossen aus: Wenn gesungen wurde, erhöhte sich sprunghaft die Bereitschaft der Passanten, einen Flyer oder ein Gespräch anzunehmen.
Bei Umzügen, die eine klare Führung mit Blick für das Ganze hatten, ohne lange Diskussionen zwischendurch, wann es wo weitergeht, war die Wirkung am besten.
In Essen-Katernberg kam ich zu spät und hatte deshalb nicht in Ruhe, die Technik einrichten können. So war der Einstieg holprig und hektisch. Als ich mal wieder den Ton nicht richtig fand beim Steigerlied, griff ein Genosse des Ruhrchors beherzt ein und führte mich in die richtige Tonlage. In dieser Bergarbeitersiedlung waren ganze Großfamilien, deren Vorfahren aus der Türkei eingewandert sind, in den Gärten. Beifall kam von Balkonen als ich von meiner Reise in die Türkei die Schönheit dieses Landes beschrieb und anschließend „Der Wind kennt keine Grenzen“ sang.
Ein tolle Erlebnis war der „Tag des Widerstands in Gelsenkirchen. Monika Gärtner-Engel verstand es, als Moderatorin den Kandidaten der Linken und der MLPD zu einem offenen Meinungsaustausch auf Augenhöhe anzuregen und die Teilnehmer zu aktivieren. Ein junger Mann, der erst auf Dr. Mast einschimpfte, er habe ihn nicht gut behandelt und Termine abgelehnt, veränderte in der Diskussion seinen Standpunkt ins Gegenteil weil ihm in aller Ruhe verständlich gemacht wurde, was die Gründe waren. Ein anderer Jugendlicher ergriff Partei für diesen „besten Arzt“.
Ich meldete mich mit einem gesungenen Diskussionsbeitrag zu Wort, verbunden mit der Frage, wie die Kandidaten den Zusammenhang von Wahlen und den Kämpfen z.B. der GdL-Arbeiter sehen. Lieder auf Veranstaltungen sind nicht nur schmückendes Beiwerk, sondern können auch inhaltliche Bereicherung sein wie dann abends das Lied „Alassa ist nicht alleine!“ bei dem Online-Meeting „Carola Rackete meets Alassa“, wobei der Zwischenruf kam: „Carola ist auch nicht alleine!“
Die Tour wurde abgerundet in Berlin und Brandenburg. Auch wenn die Eisenhüttenstädter Stadtbürokratie die Kundgebung in eine unbelebte Fußgängerzone abgeschoben hat, war es eine Freude für Dieter Weihrauch, einen Stahlarbeiter der EKO musikalisch zu unterstützen.
Hier in BB merkte man doch, dass einiges mit heißer Nadel gestrickt worden war und das Duo „Frederik und Karl Nümmes“ meist erst kurz vorher durch Nachfragen informiert wurde, wann wo was genau stattfindet. Frederik formulierte seine Kritik ungefähr so: „Lieber weniger aber besser … und dafür die Kräfte z.B. in Potsdam zu konzentrieren um mit mehr Freunden und Genossen aufzutreten und ein besseres Bild abzugeben.“
Bei der lebendigen, polemischen Vorstellung des Buches „Die Krise der bürgerlichen Ideologie …“ mit Peter Weispfenning in Berlin zeigte sich, dass nicht jedes Lied „straßentauglich“ ist, dafür aber vielleicht besser geeignet für solche Veranstaltungen wie das Lied: „Der Wind kennt keine Grenzen!“ Peter gab mir etwas zum Nachdenken mit auf den Weg: Der „Miethai-Booggie“ schien ihm am Ende etwas zu platt. Auch das ist eine Dreh- und Angelpunkt in der Auseinandersetzung, um unsere Lieder noch wirksamer zu machen.
Ich möchte mich bei den Genossinnen und Genossen bedanken, die den komplizierten Prozess solch einer Tour bis hin zu Übernachtungsplätzen akribisch organisiert haben.